Der Landesbeauftragte

für Computereinsatz im Religionsunterricht


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Bilingualer Religionsunterricht

Erfahrungsbericht

Grundsätzliches

1. Bilingualer Religionsunterricht

Bei uns in Bayern gibt es die Möglichkeit, Sachfächer bilingual zu unterrichten in drei Grundformen:

  • als einzelne bilinguale Module (mehrstündige zweisprachige Unterrichtseinheiten innerhalb des regulären Fachunterrichts); sie können in geeigneten Jahrgangsstufen in allen Sachfächern eingerichtet werden, da sie keinen vorbereitenden erweiterten Fremdsprachenunterricht voraussetzen und auch das Stundenbudget der Schule nicht belasten;

  • als eigenen "bilingualen Zug" durchgehend ab der 6. Jahrgangsstufe (mit vorherigen Intensivierungsstunden in der jeweiligen Fremdsprache, damit der Unterricht überhaupt bilingual geführt werden kann);

  • als einjähriges Angebot in der Jahrgangsstufe 10;

  • an Gymnasien gibt es mit der Einführung der Seminarfächer in der neuen Ob erstufe die zusätzliche Möglichkeit, in den Seminarfächern bilingual zu unterrichten.

Die Variante mit einem durchgehenden bilingualen Zug erschien uns an unserer Schule als nicht durchführbar und zwar aus einem ganz praktischen Grund: Da ich der einzige Religionslehrer bin, der einen bilingualen RU erteilen kann (bzw. möchte), müsste ich eine solche Klasse über alle Jahrgangsstufen hinweg unterrichten. Dies wäre zum einen für mich als Lehrkraft ein ungeheurer Aufwand an Vorbereitung, zum anderen hätten die Schüler(inn)en immer nur die gleiche Lehrkraft. Wir haben uns daher an meiner Schule für die dritte Variante entschieden und haben den bilingualen RU (ab jetzt: biliRU) für die 10. Jahrgangsstufe eingerichtet. (Zu Zeiten von G9 war es noch die 11. Jahrgangsstufe.)

Ich biete diesen biliRU nunmehr seit dem Schuljahr 1998/99 an. Damals machten sich drei Fachlehrer meiner Schule, die auf Grund ihrer Fächerkombination überhaupt dazu in der Lage waren, daran, sich auf das Experiment bilingualer Unterricht einzulassen. Es waren dies 2 Geographielehrer und ich im Fach Kath. RU. Die Geographiekollegen sahen sich nach einem, respektive nach zwei Jahren aus diversen Gründen nicht mehr in der Lage, dieses Angebot weiterhin zu machen; als Gründe nannten die Kollegen mir den erheblich höheren Arbeitsaufwand in der Vorbereitung sowie die immer wieder auftretende Situation, notwendiges Fachvokabular nicht ebenso selbstverständlich parat zu haben, wie etwa im regulären Englischunterricht. Dies wurde von den Kollegen als ungewohnt und unangenehm empfunden. 
 

2. Warum mache ich dennoch weiterhin das Angebot des biliRU?

Natürlich bemerke auch ich einen zeitlichen Mehraufwand in der Vorbereitung bilingualer Religionsstunden und natürlich gerate auch ich gelegentlich in fachsprachliche Grenzsituationen. Warum mache ich aber weiter?

2.1 Zur Frage des Mehraufwandes

2.1.1 Mehrjährige Wiederholungen

Nun, hinsichtlich des natürlich auch bei mir erheblich höheren Vorbereitungsaufwandes hatte ich mir schon vor Beginn des ersten Jahres von meinem damaligen Chef die Zusage machen lassen, dass ich diesen Kurs über mehrere Jahre hinweg anbieten könne, damit der erhöhte Vorbereitungsaufwand zumindest teilweise durch Rückgriff auf bewährte selbst erstellte Materialien in den Folgejahren kompensiert würde.

2.1.2 „Internet und Co.“ als Arbeitserleichterung

Nur mit Hilfe des Computers war es möglich, mit einem noch vernünftigen Zeitaufwand geeignete lehrplanbezogene englische Texte zu finden. Diese waren aus:

  •  dem Internet
  •  früher auch noch häufiger CD-ROMs (z. B. die engl. Encarta; Funk & Wagnalls Encyclopedia)
     

2.2 Sprachliche Grenzen

2.2.1 „Bilingual“ heißt „zwei-sprachig“

Ungeeignete Inhalte für RU auf Englisch: Fachvokabular

Einzelstunden, bei denen es wenig Sinn machen würde, deren Thematik auf Englisch zu behandeln, werden komplett auf Deutsch gehalten. Beispiel: Kirchenkunstgeschichte, Kirchenbaustile Die entsprechende Fachterminologie ist so hoch speziell und von so geringer Praxisrelevanz, dass ich nach einer selbstkritischen Evaluation meiner Anfangsversuche solche Einheiten von vorne herein nur noch auf Deutsch halte.

Ungeeignete Inhalte für RU auf Englisch: Behandlung sehr persönlicher Themen

Im aktuellen Lehrplan der 10. Jahrgangsstufe ist unter anderem der Themenbereich "Tod/Sterben" vorgesehen. Hier braucht es keine methodischen Vorgaben; wenn die Thematik persönlich sehr stark anspricht, kann es sein, dass den Schüler(inn)en in der Fremdsprache tatsächlich "die Worte fehlen" und eine intensive Kommunikation  zu stark behindert wird. Gerade wenn es ganz wesentlich um die Erlebnis-, Gefühls- und Wertewelt der Jugendlichen geht, ist es naheliegend, auf die Muttersprache „umzuschalten“.

Deutsche Texte auf Englisch?

Von der grundsätzlichen Möglichkeit, deutsche Texte auf Englisch zu behandeln nehme ich Abstand. Zwar ist dies auch grundsätzlich möglich (und für den Lehrer zweifellos weniger zeitaufwändig, wenn er Lehrbuchtexte verwendet), doch ist die einsprachige Vorgehensweise meist sachadäquater, da den Schülern das einschlägige Vokabular gleich "schwarz auf weiß" und in einschlägigen Kollokationen und Kontexten vorliegt. Damit kann somit sowohl die Arbeit im Unterricht als auch die häusliche Nachbereitung natürlicher von statten gehen, als bei einem permanenten Umschalten zwischen Muttersprache und Zielsprache. 

2.2.2 Glücksfall Gastschüler/-innen

Meine Schule hat seit vielen Jahren einen offiziellen Schüleraustausch mit Schulen im Ausland (Schottland, Frankreich, Italien, Spanien, früher auch Australien). Zusätzlich dazu haben wir auch jedes Jahr den Fall, dass einzelne Schüler auf privater Basis eine längere Zeit z. B. in den USA bei Gasteltern verbringen und dann umgekehrt von deren Gastgeschwistern besucht werden. Die ausländischen Schüler(innen) kommen, wenn es von der Jahrgangsstufe her passt, häufig in meinen Bilingual-Kurs (auch wenn sie nicht katholisch, sondern anglikanisch, evangelisch, methodistisch, baptistisch, presbyterisch etc. sind), wodurch sich für die deutschen Schülerinnen und Schüler zumindest für etliche Wochen eine sehr natürliche und authentische Kommunikationssituation auf Englisch ergibt, denn oftmals sprechen nämlich auch die Austauschschüler aus nichtenglischsprachigen Ländern besser Englisch als Deutsch.

2.2.3 Grenzen eingestehen – kein Problem!

Selbstverständlich gerate auch ich in meinem Unterricht gelegentlich an Aussprache-, Wortschatz- und Idiomatikgrenzen, die auch trotz Vorbereitung anhand englischer Texte nicht vermeidbar sind, weil sie sich erst durch assoziative Fragen bzw. Vernetzung von Wissenselementen im Unterrichtsgespräch ergeben. Ich empfinde diese Situationen aber nicht als Verlust von Autorität, weil natürlich auch meine Schülerinnen und Schüler solche Fälle entsprechend einordnen können.

Zwei Strategien helfen solche Situationen zu entschärfen: 

a) Vorankündigung
Ich weise bereits am Anfang jeden Jahres darauf hin, dass ich Theologie in Deutschland auf Deutsch studiert habe und es daher durchaus sein kann, dass ich im Laufe des Schuljahres irgendwann an eine Wortschatzgrenze stoßen werde.

b) Ehrlichkeit
Wenn ich dann also in einem Unterrichtsgespräch einen mir nicht so geläufigen (Fach-)Ausdruck einmal nicht parat habe (und eine Paraphrasierung nicht ausreichen sollte), weise ich offen auf die sprachliche Lücke hin, kläre die Frage zuhause ab und präsentiere in der folgenden Stunde die Lösung. 
 

3. Motivation der Schüler

3.1 Das „Elitekurs“-Moment

Zum Procedere: Am Ende der 9. Jahrgangsstufe müssen die Schülerinnen und Schüler auf einem Formblatt ankreuzen, ob sie im kommenden Jahr den Religionsunterricht lieber auf Deutsch oder in bilingualer Form erhalten wollen. An meiner Schule hat der bilinguale Religionsunterricht seitens der Schülerinnen und Schüler einen guten Ruf, mit dem Ergebnis, dass der Kurs regelmäßig „überzeichnet“ ist, also mehr Bewerber hat als dann berücksichtigt werden können. Wie soll dann eine Auswahl erfolgen? Wir haben mit zwei unterschiedlichen Ansätzen gearbeitet:

  • Zufall: Auswahl per Losverfahren

  • Leistung: Auswahl nach Noten (Englisch und Religion jeweils Note 3 oder besser)

Es hat sich herausgestellt, dass eine Auswahl nach dem Leistungsprinzip aus mehreren Gründen sachgerechter ist:

- Die Berücksichtigung der Englischnote (3 oder besser) ist ein durchaus vernünftiges Kriterium, weil damit Verständnisprobleme oder andere Kommunikationshemmnisse nicht so häufig auftreten. Die mündliche Kommunikation im Unterricht erlebe ich als angenehm und flüssig.

- Die Berücksichtigung der Religionsnote (3 oder besser) soll nicht nur eine „Belohnung“ für aktive Schülerinnen und Schüler sein; sie soll auch die „Gefahr“ einschränken, dass der bilinguale Unterricht von ansonsten völlig desinteressierten Schülerinnen und Schülern bloß als „easy way out“ oder „kleineres Übel“ gesehen wird.

Oftmals bringt aber auch die Auswahl über die Religions- und Englischnote nicht die gewünschte Klassengröße, sodass dann in der Vorwauswahlgruppe, die über die Noten gebildet wurde, dann (leider) nochmals das Los entscheiden darüber muss, wer nun endgültig in die Bilingualgruppe aufgenommen wird.

Die Teilnahme am biliRU wird im Zeugnis der 10. Klasse und durch eine eigene Bescheinigung dem Abiturzeugnis beigefügt. Dieses wird von den Schülerinnen und Schülern offensichtlich als wünschenswerter Bonus, als Aufwertung des Zeugnisses bei Bewerbungen etc. gesehen.

Durch die Teilnahmebeschränkung in Verbindung mit dieser Zeugnisbemerkung findet nun die ganz eigentümliche Entwicklung statt, dass die Teilnahme am biliRU – zumindest in den Augen vieler Schüler – ein wenig den Status eines erstrebenswerten „Elitekurses“ hat.
 

3.2 Das Englische als Hauptmotivation

Bei einer informellen Umfrage gaben einige Schüler an, praktisch keinen Bezug mehr zur Kirche zu haben. Auf die Frage eines Mitschülers, warum sie dann noch im Religionsunterricht seien, antwortete einer dieser Schüler: "Weil er auf Englisch abläuft!".

Nun mag man eine derartige Sekundärmotivation natürlich gegenüber einem echten Interesse an der Sache als solcher als "sub-optimal" kennzeichnen, aber eine sekundäre Motivation ist allemal besser als gar keine. Die Schüler akzeptierten nicht nur das Englische als Unterrichtssprache, sondern "wollten" es sogar so häufig wie möglich einsetzen.

Bei solchen informellen Umfragen zur Motivlage der Schülerinnen und Schüler gaben manche an, sie sähen diese zusätzlichen 2 Wochenstunden als gute Möglichkeit, sich auf den kommenden Englischleistungskurs vorzubereiten.
 

3.3 "Religion auf Englisch" als Hauptmotivation – der Reiz des Anderen

Bei den meisten Schülern und Schülerinnen in meinem Kurs kann aber aus ihren Unterrichtsbeiträgen auch echtes Interesse am Fach und der generellen Thematik Religion angenommen werden, was auch nicht stark verwundert, wenn man unser Auswahlkriterium „Religionsnote“ bedenkt. Für diese Gruppe dürfte es reizvoll gewesen sein – neben dem oben erwähnten „Elitekurs-Status“ – zwei Fächer, die ihnen ohnehin liegen, miteinander zu kombinieren.
 

3.4 Weitere Motive für die Kurswahl

Wahl wegen einzelner Mitschüler

Es gab aber auch vereinzelt den Fall, dass sich Schüler(innen) wegen ihrer langjährigen Banknachbarn in den bilingualen Religionskurs gemeldet hatten, d.h. sie wollten die Anwesenheit eines vertrauten Freundes auch in diesem Fach nicht missen und haben sich in diesen Kurs gemeldet, weil auch der Freund/die Freundin dies getan hat.

Wahl wegen des unterrichtenden Lehrers

Nicht ausgeschlossen werden kann auch eine Entscheidung für den biliRU wegen des unterrichtenden Lehrers, denn immerhin wissen die Schüler(-innen) von vorneherein, wer sie in diesem Fach unterrichten wird.
 

4. Methodik

4.1 Wortschatz

Die Mehrzahl der Stunden wurden nach dem didaktischen Prinzip der "aufgeklärten Einsprachigkeit" gehalten, d.h. grundsätzlich auf Englisch und nur in Fällen, wo es die Sprachökonomie oder das Verständnis der Schüler erforderten auch auf Deutsch. Es war dabei festzustellen, dass dies zwar gelegentlich eine Verlangsamung des Tempos, nicht aber notwendigerweise eine ungebührliche Reduktion des Komplexitätsgrades der behandelten Materie bedeutete. Der so genannte "potenzielle Wortschatz" der Schüler, also derjenige Wortschatz, der zwar nicht, wie der aktive und passive Wortschatz schon einmal behandelt wurde, der jedoch durch entsprechendes Grundwissen aus anderen Sprachen und Fächern sich erschließen lässt, ist doch schon zumindest so gut ausgeprägt, dass nicht jedes "neue" Wort erklärt werden muss.

Natürlich war auch das Gegenteil festzustellen, nämlich dass ein Text durch seinen fachspezifischen Abstraktionsgrad (nicht nur des Wortschatzes, sondern auch der dahinter stehenden Konzepte) eine eingehende Behandlung in der Muttersprache erforderte. Da dies jedoch auch bei einzelnen Lehrbuchtexten immer wieder auftritt, darf angenommen werden, dass unter Umständen auch die entsprechenden deutschen Texte sich den Schülern nicht auf Anhieb erschlossen hätten. Die Nachbereitung der Lehrkraft erfordert in dieser Hinsicht natürlich die Bereitschaft, einen zu schwierigen Text samt dem dazugehörigen Unterrichtsentwurf in den Papierkorb zu werfen. (Aus Fehlern wird auch ein Bilingual-Lehrer klug!)

4.2 Mündliche und schriftliche Tests

Interessant auch die Beobachtung, dass sich viele Schüler in den mündlichen und schriftlichen Test trotz der stets gegebenen Wahlmöglichkeit der Muttersprache für eine Beantwortung der Fragen auf Englisch entschieden. Welche Gründe können hierfür in Betracht kommen?

  • Die Schüler wollten dem Lehrer zeigen, was sie können.

  • Sie wollten sich vor den Mitschülern in dieser "Spezialklasse" vielleicht keine Blöße geben. (Dieses Motiv kann bei schriftlichen Tests eher ausgeschlossen werden.)

  • Es erschien ihnen tatsächlich leichter, über einen Stoff, der auf Englisch behandelt wurde auch in dieser Sprache geprüft zu werden. Das würde wiederum dagegen sprechen, deutsche Texte auf Englisch zu behandeln, um sie sodann wieder zu Hause auf Deutsch nachbereiten zu lassen.

Die Bereitschaft zur aktiven mündlichen Mitarbeit war gegenüber anderen Klassen - subjektiv betrachtet - nicht auffallend höher, keinesfalls aber als niedriger einzustufen. Insofern hat der Unterricht in der Fremdsprache keine Beeinträchtigung für den Unterricht ergeben.

5. Selbstgratifikation: Der bilinguale Unterricht macht auch mir Spaß

Ich darf es nicht verschweigen: Der bilinguale Religionsunterricht macht mir selbst, wegen der Rahmenbedingungen an unserer Schule (vgl. oben Punkt 1 und 2 sowie auch Punkt 3.1), erheblichen Spaß. Der Hauptgrund ist ein buchstäblich "menschlicher": die Menschen, mit denen ich zu tun habe. Ich unterrichte gute und motivierte Schüler/-innen (siehe Auswahlverfahren 3.1). – Ein Glücksfall für jeden Lehrer! Der zweite Grund ist ein pragmatischer: Ich kann im Laufe der Zeit auf einen immer größer werdenden Fundus an Material zurückgreifen und dadurch immer mehr die Früchte meiner – zugegeben immer noch umfangreichen - Vorarbeiten "genießen". Dies schlägt sich dann unter anderem darin nieder, dass ich so manche Stunde nicht mehr vorbereiten muss. Die dadurch eingesparte Zeit kann ich stattdessen darauf verwenden, neue "Schmankerl" zu entwickeln, für die sonst eben die Zeit fehlen würde.

 
     

 


© Sebastian Schuhbeck, Bayer. Landesbeauftragter für Computereinsatz im Religionsunterricht ( 1998-2017 ) - Alle Rechte vorbehalten!

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